Land of the scam

Ich habe lange zweieinhalb Jahre darauf hingearbeitet im Ausland arbeiten zu dürfen. Im September 2023 wurden die Pläne konkret und ich habe mich sehr gefreut, für zwei Jahre nach Austin, Texas gehen zu dürfen. Seit Ende März 2024 bin ich jetzt in Austin, habe meinen ersten Monat hier gelebt, meinen 30. Geburtstag hier gefeiert und meine ersten Erfahrungen gemacht.

Vor allem habe ich mich mit Abendveranstaltungen, einem (absolut notwendigen) Auto und einer Wohnung beschäftigt. Meine ersten Eindrücke von Austin, Texas sind gelinde gesagt nicht die besten. Um die Pointe vorweg zu nehmen: Das hier wird ein Rant auf eine Gesellschaft, die unproduktiv, unehrlich, faul und gierig ist. Wohlwissend, dass ich damit vielen Amerikaner*innen unrecht tue. Deshalb möchte ich gleich vorab die Amerikaner*innen in Schutz nehmen, die mich warm und ehrlich mit offenen Armen empfangen.

Scam #1: Tickets

Eine liebe Freundin mit einem hervorragenden Kulturgeschmack hat mich darauf hingewiesen, dass die Band „Giant Rooks“ nach Austin kommt. Ich beschließe an einem Freitag, dass ich mir Tickets für das Konzert am 4. Mai (Star Wars Tag!) kaufen werde. Im Internet werde ich auch schnell fündig. Da gibt es die Seite TicketsOnSale.com. Ich suche kurz, es gibt die Tickets für $40! Das ist für Konzerte hier ein adäquater Preis. Also lege ich zwei Tickets in den Warenkorb und möchte bezahlen. Es ist alles sehr „convenient“. Ich kann mit Apple Pay direkt vom Handy aus zahlen, muss keine Kreditkarte angeben, sondern nur zweimal auf einen Knopf drücken und mein Gesicht in die Kamera halten.

Mir bleibt kurz der Atem stehen, als ich auf einmal $134 auf der Rechnung sehe. Das sehe ich natürlich erst, nachdem ich bezahlt habe. Ich denke mir, dass da ein Fehler vorliegt, aber nein. Die Seite ist bekannt, stark überhöhte Service-Gebühren zu verlangen. Und ich bin darauf reingefallen. Ich schäme mich.

Ich schaue in meine Mails und versuche den Kauf, wie in Europa mit üblichen 30 Tagen Rückgaberecht, rückgängig zu machen. Das geht nicht, der Kauf ist „final“. Das heißt, ich kann nichts umtauschen. Der Gipfel der Dreistigkeit ist, dass ich ab sofort Werbemails bekomme, ob ich denn nicht noch ein Hotel buchen möchte und ob ich denn zufrieden sei. Ich entschließe mich eine sehr sehr schlechte Bewertung abzugeben und bei der Hotline anzurufen. Natürlich geht nur ein Bot dran, der mit erklärt, dass diese Service-Gebürhen für ihren „premium Service“ fällig werden. Zum Beispiel für die Wartung der Website. Aha.

Ich versuche es positiv zu sehen. Halb so schlimm. Immerhin sind die Tickets echt. Diese Lektion hat mich $50 gekostet. Ärgerlich, aber ok.

Scam #2: Auto

Natürlich kaufe ich kein Auto von einem Privatmenschen. Dafür kenne ich mich zu wenig mit Autos aus. Ich gehe zu einem gut bewerteten Autohaus. Roger Beasley Mazda South. Die nennen sich den größten Mazda-Händler in Nordamerika. Auf der hochglanz-Website findet man Motivationen wie „Fairer Deal“ und „Ehrlichkeit“. Das klingt doch seriös.

Beim ersten Auto, das ich ausprobiere, ist die Motorkontrollleuchte an. Ich reklamiere das, es kommt ein anderer Verkäufer dazu und meint, dass ihm das unangenehm wäre, denn wenn sie sowas feststellen, zeigen sie solche Autos ja eigentlich keinen Kunden. Dann schauen wir uns einen Mercedes E350 aus dem Jahr 2009 an. Ein sehr gepflegtes Auto. Ich bin hin und weg. Wir machen eine Probefahrt, die Bremsen funktionieren gut, der Motor klingt gut, ist nicht gewaschen und leckt nicht. Ich reklamiere allerdings ein seltsames Geräusch, das beim Fahren, insbesondere bei höherer Geschwindigkeit auftritt. Ich frage mehrmals, was mit dem Auto falsch ist und was das für ein Geräusch gibt, wobei mir beide Verkäufer versichern, dass „das ein gutes Auto“ sei und dass „es sehr gut fahren würde“ und der nur $7000 wegen der vielen Meilen kosten würde. Außerdem haben sie ja gerade eine „Safety Inspection“ durchgeführt. Wirklich nur 3 Tage vorher.

Ich kaufe das Auto ein paar Tage später, nur um auf dem Weg vom Händler nach Hause von den seltsamen Geräuschen so verstört zu sein, dass ich einen Termin mit einer unabhängigen Werkstatt mache. Ich habe das Auto keine 100 Meilen bewegt, als ich es in die Werkstatt bringe. Der Checkup sollte nur einen Tag dauern. Noch am selben Tag erfahre ich später Abends, dass das Radlager ausgeschlagen ist, Befestigungsbolzen am Rad fehlen, die Servolenkung leckt und eine Getriebewartung für 70k (ca. 112km) Meilen nach 150k (ca. 240km) Meilen immer noch nicht gemacht worden ist. Der Spaß soll mich $2700 kosten. Ich willige ein, denn mit diesem Sicherheitsrisiko möchte ich nicht zurück auf die Straße. Wenn es das ist, bin ich damit zufrieden. Es ist für mich höchst unbegreiflich, wie dieses Auto die angebliche „Satefy Inspection“ passieren konnte, aber gut.

Zwei Tage später werde ich wegen „einem seltsamen Geräusch“ nochmal einen Tag vertröstet und wiederum einen Tag später kommt die Hiobsbotschaft: Das Differenzial ist bald hinüber und der Tausch kostet $5000. Die Werkstatt meint, dass Roger Beasley das hätte merken müssen, wenn sie sich das Auto überhaupt mal angeschaut hätten. Ich bin kurz vor einem Nervenzusammenbruch: Ich soll insgesamt $8000 in ein Auto stecken, für das ich $7000 gezahlt habe, nur damit ich damit fahren kann? Ich fahre zu Roger Beasley und stelle den Verkäufer zur Rede. Ich habe ja das Auto „As-Is“ gekauft und deshalb muss ich jetzt selbst damit klarkommen. Und die Inspektion? Die haben sie sicher durchgeführt, aber das sei eigentlich nur eine automatische Verlängerung vom System. Was ist mit den falschen Hinweisen beim Verkauf? Die Verkäufer von Roger Beasley würden nie die Unwahrheit behaupten.

Ich tauche mindestens 5 mal bei Roger Beasley auf und stelle den General Sales Manager zur Rede. Das einzige, was ich für mich rausholen kann ist ein Tausch des Mercedes zum Kaufpreis gegen einen Mazda 3 mit 80k Meilen und ich darf noch $5000 draufzahlen. Ich bin nicht zufrieden mit dem Handel, es ist eher eine Vernunftentscheidung. Ich bin traurig, wütend, habe viel Geld verloren und Flashbacks an meine Studententage mit existenziellen Ängsten kommen hoch.

Diese Lektion hat mich mindestens $3000 gekostet. Wahrscheinlich eher $7000, wenn ich den Wert des Mazda 3 betrachte. Ich merke übrigens auch hier erst beim Fahren vom Händler, dass die Reifendruckkontrollleuchte auf einmal anspringt und dass mindestens ein Lautsprecher nicht funktioniert.

Scam #3: Wohnung

Ich brauche eine Wohnung. Bald, schön und im Budget, das mein Arbeitgeber zahlt. Aber für $2600 sollte sich doch was finden lassen. Ich suche sorgfältig die Rainey Street ab. Hier gibt es viele High-Riser, es ist nahe der Innenstadt mit Nachtleben und auch die Firma ist erreichbar. Außerdem ist ein lieber Kollege hier gerade hingezogen.

Also suche ich in der Nähe und werde auch beim „the Quincy“ fündig. Ich bin vor allem von den Annehmlichkeiten überzeugt: Der Co-Working-space ist sehr schick, die Dachterrasse hat einen schönen Blick und am Pool sind viele junge Menschen. Ich entscheide mich für ein Apartment hier, weil es einfach der beste Deal ist.

Allerdinge entscheide ich mich für ein anderes Apartment als das, das ich bisher angeschaut hatte. Ich fange ungesehen mit dem Bewerbungsprozess an, da ich mir sehr sicher bin. Der freundliche junge Mann von der Apartment-Tour gibt mir anfangs Anweisungen, wie ich das mache: Am besten auf der Website. Ach so – man muss noch vor dem Start des Bewerbungsprozesses eine nicht rückerstattbare „Application Fee“ von $450 zahlen.

Unterdessen kündigt mir das Umzugsunternehmen freudig an, dass meine Pakete angekommen sind und wann sie mir die zustellen können. Ich sage, der 27. April wäre hervorragend, aber sie antworten, dass sie an Samstagen leider nicht arbeiten. Also muss ich wohl einen Tag eher, am Freitag, den 26. April einziehen.

Knapp eine Woche nach Bewerbungsstart nutze ich die Besichtigung meiner neuen Wohnung um den jungen Herrn darum zu bitten, meinen Vertrag einen Tag eher, am Freitag, den 26. April beginnen zu lassen. Seine Antwort ist, dass das kein Problem sei, schließlich stehe die Wohnung ja ohnehin leer.

Nach eineinhalb Wochen erkundige ich mich am Montag nochmal, ob der Mietvertrag nun da sei. Schließlich möchte ich am Freitag einziehen. Der junge Mann bedankt sich für den Hinweis und beteuert, sich sofort darum zu kümmern. Was ich bekomme, ist eine Kopie meines Bewerbungsformulars, eine Aufforderung binnen 24 Stunden einen Kautionsnachschuss von über $1000 zu bezahlen und den Zugang zu einem Online-Portal, auf dem ich erstmal meine Miete bezahlen soll. Mindestens 7 Tage vor Einzug – technisch schon jetzt unmöglich.

Zu allem Überfluss geht es mir am Montag Abend rapide sehr schlecht. Einer meiner beiden Tests aus Deutschland bestätigt: Corona. Mist! So ist meine Handlungsfreiheit weiter eingeschränkt.

Es ist Dienstag und mir geht es echt reudig. Ich fühle mich kaum in der Lage, etwas zu tun. Aber Abends bekomme ich den Mietvertrag. Ich sende die ersten Seiten des online zu unterschreibenden Mietvertrages an meine lokale Betreuerin. Sie lässt den Mietvertrag von Fachpersonal prüfen, denn sie weiß; wir sind in den USA und Gott alleine weiß, was in den Geistern der Menschen hier vorgeht, wenn sie Verträge aufsetzen. Ich erinnere mich unwillkürlich an meine Schulzeit: Ich habe mir mit rigorosen „Verträgen“ einen Teil des Pausengelds meiner Mitschüler*innen gesichert. Da war ich 12. Ich bin nicht stolz darauf.

Am Mittwoch bekomme ich Rückmeldung meiner Beteuerin: Der Mietvertrag ist überprüft und für in Ordnung befunden. In dem stehen neben Fristen, die ich schon technisch garnicht mehr einhalten kann auch das Einzugsdatum: Samstag, der 27. April 2024. Ich bin teils verwundert, teils argwöhnisch. Ich unterzeichne alles und schreibe dem Team. Keiner meldet sich.

Donnerstag. Ich gehe raus, obwohl ich Corona habe. Nachmittags bin ich bei meiner neuen Wohnung. Eine Kollegin von dem jungen Mann erzählt, dass der wohl Urlaub hat und deshalb nicht antwortet. Aber sie wird mir weiterhelfen. Ich erzähle ihr von meiner mündlichen Vereinbarung mit dem jungen Mann, sie meint, dass sie um das Umzugsdatum zu ändern den Mietvertrag neu aufsetzen müsse und das gegebenenfalls die Miete ändern würde. Ich sage ihr, dass es mir ziemlich egal ist, wie wir das lösen. Ich will nur, dass mein Zeug morgen geliefert werden kann. Sie setzt einen neuen Mietvertrag auf, lächelt und meint, dass sich der Preis nicht geändert habe. Ich gehe mit dem guten Gefühl, das Problem gelöst zu haben. Zuhause möchte ich den Vertrag unterschreiben und entdecke, dass da auf einmal $2700 Miete drinnen steht, statt der ursprünglichen $2450. Für 13 Monate! Also soll ich ca. $6000 zahlen, damit ich einen Tag früher einziehen kann? Morgen? Viel Zeit zum verhandeln bleibt ja nicht. Selbst der schwäbischste Großgrundbesitzer in Berlin ist flexibler mit Einzugsterminen und nicht so dreist mit den Mietforderungen! Ich bin am Boden zerstört.

Am Tag meines Einzugs fahre ich nochmal zu dem Apartment und treffe dieselbe Frau. Ich erzähle ihr, dass ich auf garkeinen Fall $6000 bezahlen werde um einen Tag früher einzuziehen und hole den gültigen Vertrag raus. Sie entschuldigt sich, und passt das nochmal an. „Jetzt stimmt’s aber!“ Nein – es stehen jetzt $2575 auf dem Vertrag. Den schickt sie mir noch einmal, bis sie den Fehler in ihrer Berechnung findet. Endlich steht der richtige Preis drinnen. Oberflächlich bin ich freundlich. Darunter brodelt es und ich bin höchst skeptisch.

Immerhin habe ich eine Wohnung. Der Preis ist hoch. Auch emotional. Aber diesmal war ich aufmerksam. Es ist ein Pyrrhussieg. Denn ich habe massiv Vertrauen verloren.

Zu guter Letzt

Ich lerne zu schätzen, was ich an Deutschland und Europa habe. Menschen, die nicht darauf angewiesen sind, alles verkaufen zu müssen, was nicht niet- und nagelfest ist, um sich ernähren zu können. Menschen, die eine Tätigkeit gelernt haben, darin ausgebildete Fachkräfte sind und nicht nur die besten Blender, die man für günstig Geld von der Straße auflesen konnte.

Meine ersten Eindrücke sind ernüchternd. Das „Land of the free“ ist das Land der unbegrenzen Unmöglichkeiten.

Ich hatte viel Pech mit den Leuten und Dingen, die mir widerfahren sind. Ich werde positiv in die Zukunft sehen und meine Augen für das schöne offen halten. Aber ich möchte diesen Artikel auch als Warnung sehen, nicht zu naiv in die USA zu gehen. Was oberflächlich nach Freundlichkeit aussieht, ist oft nur eine Verkaufsabsicht.

1 Kommentar

  1. Anna

    Junge, junge, junge.
    Lieber Micha, das tut mir total Leid, dass du so viele Lektionen zu Beginn lernen musstest und ich hoffe, dass du dafür jetzt einfach etwas Glück hast und nicht noch mehr Abzockern begegnen musst.

    Danke dir für deinen Bericht. Es ist schön dich so ein bisschen begleiten zu können.

    Liebe Grüße 😊

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