Ich arbeite für einen Halbleiterhersteller. Auch wenn der Sommer 2024 in Texas ziemlich heiß ist, ist der Markt für Halbleiter eher kühl. Einzig KI boomt und ich gehe davon aus, dass dieser Trend, der Anfang 2023 mit der Veröffentlichung von ChatGPT 3 begonnen hat, das neue Normal ist.

Ich beschäftige mich seit 2019 mit künstlicher Intelligenz. Dabei gibt es gar keine allgemein anerkannte Definition von Intelligenz. Ist ein Auto intelligent, das mit einem vorgegebenen Ziel navigieren kann? Wie schnell kann man einem Kühlschrank das Autofahren beibringen? Wie misst man die Qualität von „Autofahren“ und lässt sich das auf Flugzeuge übertragen? Kann ebenjener Kühlschrank ein autonomes Fahrzeug entwickeln? Kann der Kühlschrank sich selbst entwickeln, mit Toastern und Brotbackautomaten eine Küchengerätezivilisation formen oder sich eine Welt ohne Kühlschränke vorstellen?

Es gibt auf jeden Fall unterschiedliche Formen und Qualitäten der Intelligenz. Um die messen zu können, gibt es auch unterschiedliche Formen von Intelligenztests. Der Stanford-Binet-Test differenziert zum Beispiel das logische Denken, das Wissen, das quantitative Denken, die visuell-räumliche Verarbeitung und das Arbeitsgedächtnis. Nicht abgebildet, aber definitiv unabdinglich für das Funktionieren unserer Gesellschaft ist emotionale Intelligenz. Und ist Kreativität eine erlernbare Fähigkeit oder Intelligenz? Wahrscheinlich gibt es Aspekte der Intelligenz, von denen ich bisher nicht einmal weiß.

Täglich sehe ich die Ergebnisse menschlicher Intelligenz, lese davon in Büchern und wissenschaftlichen Artikeln (okay, zugegeben, meistens sind es Reddit-Posts). Ich höre Menschen, die mir einen Teil ihrer Geschichte erzählen. Oft genug bin ich nicht unmittelbar in der Lage zu erkennen, wie bewundernswert diese Menschen sind. Ich lebe mit meinen Vorurteilen in meiner eigenen Welt und erst im Nachhinein bin ich beeindruckt von der Intelligenz dieser Menschen: Es gibt so viele großartige Ideen in Wissenschaft und Technik, so viele außerhalb meiner Vorstellungskraft liegende Kunstwerke und so viele empathische und selbstlose Gesten.

Ganz bewusst will ich hier auf Beispiele verzichten, weil ich das als Wertung verstehe und unangebracht finde. Vielleicht hältst du als Leserin kurz inne und überlegst, welche großartigen Menschen dich zuletzt tief beeindruckt haben. Ganz gleich ob Uni-Prof, YouTube-Star oder langjährige Freundin.

Ich empfinde mich als Zwerg auf den Schultern von Riesen. Was mich auf der einen Seite mit Dankbarkeit und Demut erfüllt, lässt auf der anderen Seite meinen Beitrag unendlich klein erscheinen. Wer bin ich im Kontrast zu all diesen großartige Menschen? Dadurch, dass ich mich vor allem mit meinem Beitrag identifiziere, werde ich durch diese Skalierung auf einmal winzig klein und unbedeutend. Plötzlich habe ich keine Motivation mehr, etwas unbedeutendes beizutragen und alles was ich meine zu wissen und zu sein stelle ich in Frage.

Kann ich meine Intelligenz testen?

Selbstzweifel helfen mir, mich weiter zu entwickeln. Sie können auch hinderlich sein. Ironischerweise behindern sie mich vor allem bei meiner persönlichen Entwicklung. Selbstzweifel halten mich davon ab, mutig zu sein, etwas auszuprobieren, souverän im Gespräch mit anderen Menschen aufzutreten. Erkenne ich die Intelligenz der Menschen in meinem Umfeld, frage ich mich, was diese Menschen in mir sehen. Wenn ich nicht das Gefühl habe, etwas beizutragen, welche Intension könnte mein Gegenüber mit mir haben? Werde ich ausgenutzt, manipuliert? Nehme ich etwas nicht wahr, was mein Umfeld durchaus wahrnimmt? Zu viel Selbstzweifel können zu paranoiden Gedanken führen.

Unter der Annahme, dass Menschen bewusst, motiviert und rational handeln, gibt es so leider keine Möglichkeit die eigene Intelligenz zweifelsfrei zu testen.

Nehmen wir eine Maus in einem Labor. Sie ist aufgrund ihres Bedürfnisses nach Nahrung beeinflussbar. Deshalb kann man mit ihr Experimente durchführen. Findet sie einen Weg durch ein Labyrinth, wenn am Ende eine leckere Karotte wartet? Mit einer Belohnung kann man sie zu Kunststücken konditionieren. Können Mäuse rechnen? Muster erkennen? Können sie komplexe Verschlüsse an Futterboxen öffnen?

Experimente zeigen, dass die Maus im Käfig in der Erwartung einer Belohnung intelligent handeln kann. Aber sie kann nicht wissen, ob sie ihre Umwelt auf eine intelligente Art beeinflusst hat, um die Belohnung zu erhalten, oder die Umwelt sie beeinflusst hat, intelligent zu handeln.

Als Mensch bin ich durch meine Bedürfnisse genauso manipulierbar wie eine Maus. Wenn meine Umgebung mich also manipuliert, müsste sie das vor mir verschleiern. Wenn sich die Maus des Manipulationsversuchs bewusst wird, wird sie die Manipulation umgehen. Statt im Labyrinth zu laufen, kann sie auch auf den Wänden des Labyrinths viel schneller zum Ziel gelangen. Und plötzlich bietet mir Morpheus eine rote und eine blaue Pille an.

Solange mir diese Entscheidung nicht angeboten wird (und sogar, wenn mir diese Entscheidung angeboten wird), kann ich nicht widerlegen, dass meine Umwelt mich manipuliert. Ich habe keine Möglichkeit zweifelsfrei festzustellen, ob ich eigenmotiviert handele und aus mir selbst heraus intelligent bin, oder ob ich fremdgesteuert werde und jede intelligente Handlung von einer mir unbekannten Entität induziert wird.

Raus aus der Paranoia!

Folglich muss ich nun so handeln, als ob ich permanent manipuliert würde, oder? Abgesehen in von mit Handlungszwirblern gespickten Psycho-Thrillern, ist das weder hilfreich noch wahrscheinlich. Auch wenn wir mit Sicherheit permanent durch Werbung manipuliert werden, soll die vor allem unsere Kaufbereitschaft oder Wahlentscheidung fremdmotivieren. Allerdings können wir uns dieser Manipulation durchaus bewusst werden (und sollten das auch!) und es ist keine groß angelegte Verschwörung gegen uns.

Im direkten Kontakt mit unseren Mitmenschen fallen mir ab und an Interaktionen auf, die ich nicht richtig einordnen kann. Aber statt das auf eine bewusste, motivierte und rationale Manipulation zurückzuführen, sollte ich mich besser darin üben, ein ganzes Set von Rasiermessern anzuwenden. Oder um es mit den Worten von Alligatoah zu sagen:

Die Menschen sind nicht böse, die Menschen sind nur dumm.

Alligatoah – Musik ist keine Lösung

Wenn ich auf mich selbst schaue, versuche ich ein guter Mensch zu sein. Wie auch immer ich das definieren mag. Und trotzdem verletze ich viel zu oft unbeabsichtigt andere Menschen, weil ich mich ungeschickt verhalte oder etwas unbedachtes sage. Weil ich, obwohl ich mich für generell intelligent halte, dumme Sachen mache. So wie ich mir Vergebung und Nachsicht von meinen Mitmenschen erhoffe, möchte ich auch vergeben und nachsehen. Auch intelligente Menschen machen Fehler – ich sollte daraus lernen und sie nicht immer wieder machen.