Schlagwort: Gesellschaft

Rede mit mir!

Manchmal ist der Einstieg in ein Thema einfach. Manchmal nicht. Also warum nicht mal so umständlich wie irgend möglich ins Thema einsteigen? Hier also mein geistiger Seitfallzieher vom Fünfmeterturm:

Millionen Jahre lang lebte die Menschheit wie die Tiere. Dann geschah etwas, das die Kraft unserer Phantasie freisetzte. Wir lernten zu sprechen und wir lernten zuzuhören. Die Sprache hat die Kommunikation von Ideen ermöglicht und die Menschen in die Lage versetzt, zusammenzuarbeiten und das Unmögliche zu schaffen. Die größten Erfolge der Menschheit sind durch Reden entstanden, die größten Misserfolge durch Nichtreden. Das muss nicht so sein. Unsere größten Hoffnungen könnten in der Zukunft Wirklichkeit werden. Mit der Technologie, die uns zur Verfügung steht, sind die Möglichkeiten unbegrenzt. Wir müssen lediglich dafür sorgen, dass wir weiter miteinander reden.

– Steven Hawking

Das Zitat habe ich aus dem Song „Keep Talking“, ein Song der Progressive Rock Band „Pink Floyd“. Steven Hawking sagt unter anderem, dass wir es uns nicht erlauben können, nicht zu reden. Und trotzdem beobachte ich genau das.

Also, über was reden wir hier? – Fallbeispiele

Zum Beispiel bei einem Tischgespräch mit Kollegen nach der Debatte zwischen Kamala Harris und Donald Trump Anfang September 2024. Auf offene Fragen kamen mehrfach eher ausweichende und kurze Antworten. Ich hatte ein Bekenntnis zur eigenen Meinung erwartet, aber sehr harmoniebedachte Positionen zur Meinungsfreiheit und Demokratie bekommen.

In einem anderen Gespräch hat mir ein Kollege von Ideen für eine Reform des Amerikanischen Wahlsystems erzählt. Auf meine Frage, warum er darüber nicht offen reden würde, meint er, dass Reden mit Gleichgesinnten nichts verändere und mit Andersdenkenden noch weniger. Also reden wir beim Essen weiter über Hunde, die Sportergebnisse oder das Wetter.

Auf der anderen Seite habe ich im Sommer eine Konversation einer Gruppe junger Menschen in Barton Springs, einem öffentlichen Schwimmbad in Austin, mitbekommen. Bis auf zustimmendes „Yeah man!“ und „Dude!“ aus der Gruppe, war es mehr ein Monolog eines ausgewachsenen Jugendlichen Anfang Mitte zwanzig über sein Dating-Leben. Nach 10 Minuten hatte ich immer noch nicht begriffen, was er mitteilen wollte.

Eine andere Art von Monolog habe ich auf dem „Texas Renaissance Fest“ beobachtet: Beiläufig beobachte ich eine Frau, die auf einen Typen einredet, der sich gerade an einer Hähnchenkeule erfreut. Sie meint, dass er rücksichtslos sei und ob er sich Gedanken über das Tier und das Klima mache. Und während ich selbst Vegetarismus unterstütze, habe ich mich gefragt, welches Ziel diese Frau mit dem unverhohlenem Angriff erreichen möchte.

Im Kontrast dazu genieße ich die Diskussion über politische Themen mit einem bestimmten Kollegen sehr. Kürzlich hatten wir eine angeregte Debatte über Demographie. Während ich die Meinung vertreten habe, dass ein natürlicher Bevölkerungsrückgang nachhaltig ist, hat er die Position vertreten, dass dadurch im gegenwärtigen Wirtschaftssystem wenige junge Menschen viele alte Menschen versorgen müssen.

Na, weil ich das so sage. – Emotional aufgeladene Debatten

In Diskussionen wie diesen sind wir grundsätzlich unterschiedlicher Meinung. Einer von nimmt aus Prinzip die Gegenposition ein. Und obwohl es nicht schick ist, lasse ich mich emotional mitreißen. Schnell habe ich den Stempel, nicht „sachlich“ zu sein und der Dialog kippt zum Streit.

Natürlich ist es toll, wenn man die Distanz beibehalten kann. Kann man nicht einfach Argumente und Gegenargumente vortragen, Punkte für die Argumente vergeben und am Ende einen zum Sieger küren, wie bei einem Boxkampf? Und dann geben sich beide die Hände, betonen wie sehr sie einander und die Konversation schätzen und das Thema wird geschlossen?

Ich glaube nicht, dass das für mich funktioniert. Ich bin emotional in den Debatten, deren Inhalt mich wirklich interessiert. Und wenn mich der Inhalt nicht interessiert, dann lasse ich die Debatte bleiben. Doof wird es, wenn ich nicht mehr in der Lage bin, meinen Gegenüber zu verstehen. Auch wenn ich die Argumente nicht gutheißen muss, möchte ich sie nachvollziehen können. Schließlich möchte ich von jedem Gespräch etwas lernen. Verstehen, wie andere Menschen denken und warum sie so denken.

Ehrlicherweise ist mir das meistens nicht genug. Ich möchte meinen Gegenüber von meiner Position überzeugen. Eine neue Verbündete für meine Idee gewinnen. Denn schließlich habe ich ja Recht, oder? Meine Erfahrung ist eher, dass ich nicht richtig liege. Dass die Realität komplex ist und es selten einfache Antworten gibt. Und selbst wenn ich denke mehr zu sehen, ist es echt schwierig meinen Gegenüber dazu zu bringen, meine Perspektive einzunehmen. Vor allem unmittelbar in der Situation.

Was ist also der Sinn der Debatte, wenn ich nicht erwarten kann, dass jemand seinen Standpunkt ändert? Ich kann immer etwas lernen und meinen Horizont erweitern. Und statt eine neue gemeinsame Wahrheit zu finden, bin ich sehr zufrieden wenn wir beide die Möglichkeit haben, unsere Wahrheit zu hinterfragen.

Das wird man doch sagen dürfen! – Gesprächstaktik

Auch diese Ziele verfehle ich oft genug, weil einer von uns oder beide ganz schön stur sind. Was fällt den anderen auch ein, so überzeugt von ihren Weltbildern zu sein? Im 2024 erschienenen Film „Conclave“ sagt Kardinal Lawrence in einer Predigt zu den Kardinälen, die einen neuen Papst wählen sollen, aber in mehrere Lager gespalten sind: „Gewissheit ist der Feind von Einigkeit.“

Certainty is the enemy of unity.

Kardinal Lawrence, Conclave

Wie also die Gewissheit des Gegenüber aufweichen? Ich habe ein paar Strategien.

Mit wem rede ich?

Je besser ich meinen Gegenüber kenne, desto besser kann ich meine Argumentation anpassen. Das ist kein neues Konzept, sondern wird seit Jahrzehnten in der Werbeindustrie gelebt. Das Zauberwort ist „Zielgruppenorientierung“. Mit viel Empathie kann ich die Motivation meiner Zielgruppe erraten und meine Argumentation entsprechend Anpassen.

Dabei muss meine Zielgruppe auch nicht zwangsläufig meine Gesprächspartnerin oder mein Gesprächspartner sein. Der Ex-Freund einer engen Freundin hat eine starke politische Meinung, von der er allerdings durch kein Gespräch der Welt abzubringen war. Obwohl ich ihn nur schwer von meinen Ideen überzeugen kann, habe ich die Debatte immer wieder gesucht. Wenn wir diskutiert haben und sie zugehört hat, konnte sie Argumente von beiden Seiten hören und die Ansichten übernehmen, die am besten mit ihrem Weltbild vereinbar waren.

Das wäre zu viel gesagt.

Ein Stilmittel vieler Populisten ist die absichtliche Übertreibung. So behauptete die rechtspopulistische CSU 2017, dass durch den Familiennachzug viel zu viele Flüchtlinge nach Deutschland kommen würden. Und während ich mich im Gespräch mit einem CSU-Wähler auf die Position zurückziehen werde, dass die CSU in diesem Falle rechtspopulistische Propaganda unterstützt hat, verfängt bei einem Teil meiner Zielgruppe die Aussage, dass man der bayrischen Splitterpartei der Christdemokraten nicht trauen kann.

Diese Strategie hat einen Preis: Darunter leidet meine Glaubwürdigkeit als Experte. Aber der geneigte Leser wird ahnen, dass ich gar kein Experte bin und dass das alles nur billiger Populismus ist. Ich möchte an dieser Stelle vom (übermäßigen) Gebrauch dieses Stilmittels abraten. Es untergräbt systematisch das Vertrauen ineinander und eine gesunde Debattenkultur.

Im Kontrast zu einer politisch korrekten und relativistischen Debatte über den Einfluss von Überreichen auf demokratische Prozesse finde ich ein plakatives „Eat the rich!“ dennoch greifbarer und manchmal zielführend. Man kann auch mal eine extreme Position in den Raum werfen um diesen für eine Debatte zu öffnen, ohne die Position verteidigen zu müssen. (Mehr dazu in meinem Artikel „Mehr sozialen Populismus wagen“ von 2021.)

Einfach mal „Danke!“ sagen.

Versöhnlicher ist es natürlich, den Gegenüber ein Punkt machen zu lassen, und sich vielleicht sogar für einen neuen Aspekt zu bedanken. Ich bin deutlich eher bereit, über die Position meines Gegenübers nachzudenken, wenn sie oder er mich mit Respekt behandelt. Außerdem verleiht ein „Danke“ direkt ein staatsmännisches Auftreten.

Im Gegensatz dazu ist es ein Pyrrhussieg, wenn ich die Debatte dominiere, sich danach aber niemand mit mir unterhalten mag. Wenn man es so formulieren mag, ist es besser die Schlacht zu verlieren, als den Krieg. Weniger martialisch ist zu betonen, dass es langfristig viel schöner ist, Gemeinsamkeiten zu finden über die man sich immer wieder verbinden kann. Die können auch ein Ausgangspunkt für weitere Gespräche sein. Und am Ende sitzen wir doch alle im selben Boot.

Memo an mich: Ich möchte in Zukunft öfter andere das letzte Wort haben zu lassen. Deshalb interessiert mich brennend, was Du als Leserin oder Leser von diesem Artikel hältst, welche Erfahrungen Du in Dialogen schon gemacht hast und welche deine Gesprächsstrategien sind. Ich freue mich über deinen Kommentar.

Was ich noch sagen wollte:

„Einigung Europas“ von mir

Eine Freundin hat mir die Rede „Einigung Europas“ von Stefan Zweig geschickt und mich gebeten, ob ich nicht einen Text dazu beitragen könnte. Diese Geste hat mich so gefreut, dass ich umgehend angefangen habe zu schreiben. Nicht nur, dass ich mich liebend gerne über Europa, dem Konzept der Europäischen Union und der europäischen Idee äußere, sondern auch, weil es mir viel bedeutet, gesehen und nach meiner Meinung gefragt zu werden.

Ich bin für zwei Jahre in Texas. Ein halbes ist fast rum und ich lerne echt viele Dinge. Offensichtliche Dinge wie, dass „conundrum“ „Rätsel“ heißt. Nicht ganz so offensichtliche Dinge, wie dass Verbraucherschutz und TÜV sehr europäische Ideen sind. Und auch Dinge, die sich mir erst langsam erschließen, wie dass eine Sozialisierung in der US-amerikanischen Gesellschaft eine völlig andere Kultur hervorbringt und dass ich mit meiner deutschen Sozialisierung mit jedem Schweden, Italiener, Portugiesen und Rumänen wahrscheinlich viel mehr gemein habe als mit einem US-Amerikaner.

Auch wenn es nicht immer so wirkt, haben wir bereits eine europäische Kultur. Wir haben Jahrhunderte gemeinsam verflochtener Geschichte, steinalte Kirchen, Fußgängerzonen, Sozialleistungen, den fantastischen Fernsehsender arte, öffentlichen Nah- und Fernverkehr, den eben schon erwähnten Verbraucherschutz, das Erasmus-Programm, Handball-Europameisterschaften und das Interrail-Ticket. Die Europäische Union ist der größte Markt der Welt und, auch wenn ich den Prozess als schleppend empfinde, sind wir dabei, Ökonomie, Ökologie und Sozialstaat miteinander zu vereinbaren. Europa hatte schon immer eine gemeinsame Geschichte und viel Wichtiger ist, dass wir vor allem eine gemeinsame Zukunft haben. Dem fanatischsten Faschisten ist bewusst, dass keine Alternative zu Europa vermittelbar ist.

Aber entgegen häufiger Darstellung sind Faschisten nicht dumm. Sie haben wie die Werbeindustrie gelernt unsere menschlichsten Empfindungen zu instrumentalisieren: Unser Selbsterhaltungstrieb, unsere Hormone und unsere Emotionen und Gefühle machen uns beeinflussbar. Deshalb wird es immer bequemer sein, eine gefühlte Realität mit biederem Familienmodell und überholten Wirtschaftsmodellen und eine romantische Verklärung der Vergangenheit mit biodeutschen Wurzeln und einem sorgfältig kuratierten nationalen Narrativ zu akzeptieren, als etwas zu verbessern. Auch, weil es einfacher ist, das Wetter, die Kollegen oder die Arbeit der Bunderegierung zusammen doof zu finden, statt sich gemeinsam für beispielsweise fahrradfreundliche Innenstädte, ehrenamtliche Vereinsarbeit oder Bürgerräte zu begeistern und einzusetzen.

Leider haben Faschisten mit Angst gegenüber vor Perspektivlosigkeit und Verfolgung Fliehenden und Stolz auf eine bestenfalls eigenwillige Geschichtserzählung besorgniserregend große Teile der Gesellschaft in emotionale Geiselhaft genommen. Obwohl soziale Parteien überlegene Ideen haben, sind Ergebnisse wie in Sachsen und Thüringen im September 2024 oft ernüchternd. Ich brauche keine rhetorischen Fragen zu stellen, um zu sehen, dass die Inhalte offensichtlich nicht so überzeugen. Dabei liegt es meiner Meinung nach nicht an den Inhalten selbst, sondern an einem seit der Aufklärung falschen Bild vom „rationalen Menschen“, der vernünftig und logisch entscheidet.

Ich lerne mich jeden Tag ein bisschen besser kennen und erkenne auch als studierter Ingenieur bei mir und meinem Mitmenschen: Da ist das allerwenigste rational. Oder auf vollständigen Informationen basiert. Oder vernünftig. Der Kollege, der seine Meinung mit Verweis auf seine Tabelle für „objektiv“ hält, reagiert sehr wahrscheinlich emotional. Sind wir beim Design unserer Demokratie davon ausgegangen, dass Menschen rational und vernünftig handeln? Dann sollten wir vielleicht unser Menschenbild aktualisieren.

Stefan Zweig hat das gesehen. All die großartigen Errungenschaften Europas sind schwer zu vermitteln, wenn wir sie nicht wertschätzen können. Was habe ich von CERN und die ESA bezahlt auch nicht meine Miete! Medien haben eine mächtige Rolle im Spiel um Deutungshoheit und unsere Emotionen. Emotionen sind Reichweite, Reichweite ist Deutungshoheit, Deutungshoheit ist Wahrheit.

Was wir tun können, ist unsere eigene Geschichte erzählen. Eine Geschichte, in der eine deutsche Ampel-Regierung mit Bürgergeld, Cannabis-Entkriminalisierung und Deutschlandticket mehr Dinge verbessert hat als 16 Jahre konservativer Stillstand. Eine Geschichte von einem Kontinent, der bei der Bekämpfung einer Pandemie erfolgreich zusammengearbeitet hat. Eine Geschichte von einer Wirtschaftsgemeinschaft, die durch ein gesellschaftszentriertes Weltbild eingesehen hat, dass nur ökologisches Wirtschaften nachhaltig die Versorgung aller sichert. Eine Geschichte, in der die europäischen Staaten, ohne zu eskalieren einen russischen Diktator nicht in seinem Angriffskrieg auf die Ukraine gewähren lassen.

Und ich möchte von einer Zukunft erzählen. Einer Zukunft, in der vereinte europäische Streitkräfte Werte wie Gleichheit und individuelle Freiheit hochhalten, abgestimmt handeln um Konflikte und Leid zu vermeiden und dabei den Austausch vieler Kulturen fördern. Ich möchte von einer Zukunft erzählen, in der Reisen mit der Bahn in ganz Europa unkompliziert, schnell, pünktlich, sicher und für jeden erschwinglich völlig normal ist. Ich möchte von einer Zukunft erzählen, in der wir Kindern und jungen Erwachsenen helfen, mit ihren Hormonen, ihren Emotionen und ihren Gefühlen umzugehen, sich darüber auszutauschen, statt sie hinter einer normativen und konformen Fassade wegzusperren. In der Hoffnung, dass Europa als Musterbeispiel dient und wir jeden, der mit uns lernen möchte, mit offenen Armen empfangen können.



Noch ein Artikel über Dunning-Kruger, Imposter-Syndrom, Intelligenz und Selbstwert

Ich arbeite für einen Halbleiterhersteller. Auch wenn der Sommer 2024 in Texas ziemlich heiß ist, ist der Markt für Halbleiter eher kühl. Einzig KI boomt und ich gehe davon aus, dass dieser Trend, der Anfang 2023 mit der Veröffentlichung von ChatGPT 3 begonnen hat, das neue Normal ist.

Ich beschäftige mich seit 2019 mit künstlicher Intelligenz. Dabei gibt es gar keine allgemein anerkannte Definition von Intelligenz. Ist ein Auto intelligent, das mit einem vorgegebenen Ziel navigieren kann? Wie schnell kann man einem Kühlschrank das Autofahren beibringen? Wie misst man die Qualität von „Autofahren“ und lässt sich das auf Flugzeuge übertragen? Kann ebenjener Kühlschrank ein autonomes Fahrzeug entwickeln? Kann der Kühlschrank sich selbst entwickeln, mit Toastern und Brotbackautomaten eine Küchengerätezivilisation formen oder sich eine Welt ohne Kühlschränke vorstellen?

Es gibt auf jeden Fall unterschiedliche Formen und Qualitäten der Intelligenz. Um die messen zu können, gibt es auch unterschiedliche Formen von Intelligenztests. Der Stanford-Binet-Test differenziert zum Beispiel das logische Denken, das Wissen, das quantitative Denken, die visuell-räumliche Verarbeitung und das Arbeitsgedächtnis. Nicht abgebildet, aber definitiv unabdinglich für das Funktionieren unserer Gesellschaft ist emotionale Intelligenz. Und ist Kreativität eine erlernbare Fähigkeit oder Intelligenz? Wahrscheinlich gibt es Aspekte der Intelligenz, von denen ich bisher nicht einmal weiß.

Täglich sehe ich die Ergebnisse menschlicher Intelligenz, lese davon in Büchern und wissenschaftlichen Artikeln (okay, zugegeben, meistens sind es Reddit-Posts). Ich höre Menschen, die mir einen Teil ihrer Geschichte erzählen. Oft genug bin ich nicht unmittelbar in der Lage zu erkennen, wie bewundernswert diese Menschen sind. Ich lebe mit meinen Vorurteilen in meiner eigenen Welt und erst im Nachhinein bin ich beeindruckt von der Intelligenz dieser Menschen: Es gibt so viele großartige Ideen in Wissenschaft und Technik, so viele außerhalb meiner Vorstellungskraft liegende Kunstwerke und so viele empathische und selbstlose Gesten.

Ganz bewusst will ich hier auf Beispiele verzichten, weil ich das als Wertung verstehe und unangebracht finde. Vielleicht hältst du als Leserin kurz inne und überlegst, welche großartigen Menschen dich zuletzt tief beeindruckt haben. Ganz gleich ob Uni-Prof, YouTube-Star oder langjährige Freundin.

Ich empfinde mich als Zwerg auf den Schultern von Riesen. Was mich auf der einen Seite mit Dankbarkeit und Demut erfüllt, lässt auf der anderen Seite meinen Beitrag unendlich klein erscheinen. Wer bin ich im Kontrast zu all diesen großartige Menschen? Dadurch, dass ich mich vor allem mit meinem Beitrag identifiziere, werde ich durch diese Skalierung auf einmal winzig klein und unbedeutend. Plötzlich habe ich keine Motivation mehr, etwas unbedeutendes beizutragen und alles was ich meine zu wissen und zu sein stelle ich in Frage.

Kann ich meine Intelligenz testen?

Selbstzweifel helfen mir, mich weiter zu entwickeln. Sie können auch hinderlich sein. Ironischerweise behindern sie mich vor allem bei meiner persönlichen Entwicklung. Selbstzweifel halten mich davon ab, mutig zu sein, etwas auszuprobieren, souverän im Gespräch mit anderen Menschen aufzutreten. Erkenne ich die Intelligenz der Menschen in meinem Umfeld, frage ich mich, was diese Menschen in mir sehen. Wenn ich nicht das Gefühl habe, etwas beizutragen, welche Intension könnte mein Gegenüber mit mir haben? Werde ich ausgenutzt, manipuliert? Nehme ich etwas nicht wahr, was mein Umfeld durchaus wahrnimmt? Zu viel Selbstzweifel können zu paranoiden Gedanken führen.

Unter der Annahme, dass Menschen bewusst, motiviert und rational handeln, gibt es so leider keine Möglichkeit die eigene Intelligenz zweifelsfrei zu testen.

Nehmen wir eine Maus in einem Labor. Sie ist aufgrund ihres Bedürfnisses nach Nahrung beeinflussbar. Deshalb kann man mit ihr Experimente durchführen. Findet sie einen Weg durch ein Labyrinth, wenn am Ende eine leckere Karotte wartet? Mit einer Belohnung kann man sie zu Kunststücken konditionieren. Können Mäuse rechnen? Muster erkennen? Können sie komplexe Verschlüsse an Futterboxen öffnen?

Experimente zeigen, dass die Maus im Käfig in der Erwartung einer Belohnung intelligent handeln kann. Aber sie kann nicht wissen, ob sie ihre Umwelt auf eine intelligente Art beeinflusst hat, um die Belohnung zu erhalten, oder die Umwelt sie beeinflusst hat, intelligent zu handeln.

Als Mensch bin ich durch meine Bedürfnisse genauso manipulierbar wie eine Maus. Wenn meine Umgebung mich also manipuliert, müsste sie das vor mir verschleiern. Wenn sich die Maus des Manipulationsversuchs bewusst wird, wird sie die Manipulation umgehen. Statt im Labyrinth zu laufen, kann sie auch auf den Wänden des Labyrinths viel schneller zum Ziel gelangen. Und plötzlich bietet mir Morpheus eine rote und eine blaue Pille an.

Solange mir diese Entscheidung nicht angeboten wird (und sogar, wenn mir diese Entscheidung angeboten wird), kann ich nicht widerlegen, dass meine Umwelt mich manipuliert. Ich habe keine Möglichkeit zweifelsfrei festzustellen, ob ich eigenmotiviert handele und aus mir selbst heraus intelligent bin, oder ob ich fremdgesteuert werde und jede intelligente Handlung von einer mir unbekannten Entität induziert wird.

Raus aus der Paranoia!

Folglich muss ich nun so handeln, als ob ich permanent manipuliert würde, oder? Abgesehen in von mit Handlungszwirblern gespickten Psycho-Thrillern, ist das weder hilfreich noch wahrscheinlich. Auch wenn wir mit Sicherheit permanent durch Werbung manipuliert werden, soll die vor allem unsere Kaufbereitschaft oder Wahlentscheidung fremdmotivieren. Allerdings können wir uns dieser Manipulation durchaus bewusst werden (und sollten das auch!) und es ist keine groß angelegte Verschwörung gegen uns.

Im direkten Kontakt mit unseren Mitmenschen fallen mir ab und an Interaktionen auf, die ich nicht richtig einordnen kann. Aber statt das auf eine bewusste, motivierte und rationale Manipulation zurückzuführen, sollte ich mich besser darin üben, ein ganzes Set von Rasiermessern anzuwenden. Oder um es mit den Worten von Alligatoah zu sagen:

Die Menschen sind nicht böse, die Menschen sind nur dumm.

Alligatoah – Musik ist keine Lösung

Wenn ich auf mich selbst schaue, versuche ich ein guter Mensch zu sein. Wie auch immer ich das definieren mag. Und trotzdem verletze ich viel zu oft unbeabsichtigt andere Menschen, weil ich mich ungeschickt verhalte oder etwas unbedachtes sage. Weil ich, obwohl ich mich für generell intelligent halte, dumme Sachen mache. So wie ich mir Vergebung und Nachsicht von meinen Mitmenschen erhoffe, möchte ich auch vergeben und nachsehen. Auch intelligente Menschen machen Fehler – ich sollte daraus lernen und sie nicht immer wieder machen.

Streben nach Unsterblichkeit

Mit ausgewählten Freund*innen habe ich diese Theorie diskutiert. Jetzt habe ich einen wunderbaren Anfang gefunden: Am Dienstag habe ich Cyberpunk 2077 das erste mal durchgespielt. Deshalb an dieser Stelle: Vorsicht! Spoiler-Alarm!

Während Generationen vor uns den Buchdruck, Radioübertragung, die Massenproduktion von Tonträgern und die Blütezeit der Filmindustrie erlebt haben, ist nun das Videospiel zweifelsohne die beeindruckendste kulturelle Entwicklung unserer Zeit. Cyberpunk ist ein herausragendes Beispiel für die Bearbeitung philosophischer und kultureller Fragen unserer Zeit. In diesem Kontext ist Cyberpunk 2077 gespielt zu haben, wie Schiller gelesen, Kraftwerk auf Langspielplatte gehört oder „Angst essen Seele auf“ im Kino gesehen zu haben.

Cyberpunk 2077 beschäftigt sich gleich mit mehreren soziokulturellen Fragen. Zum Beispiel wie wir mit technischen Verbesserungen am menschlichen Körper umgehen. Die alternativen Enden hingegen beschäftigen sich mit nichts weniger, als mit der Frage nach dem Sinn des Lebens. Je nachdem, wie man die Gabelungen im Schicksal des Hauptcharakters „V“ wählt, wird diese Frage anders beantwortet. Allen gemein ist meiner Meinung nach das mehr oder weniger erfolgreiche Streben nach Unsterblichkeit.

Der Tod, vor allem der eigene ist kein direktes Tabuthema, aber die Vorstellung irgendwann nicht mehr zu existieren ist so unvorstellbar, dass in meinem sozialen Kreis kaum darüber geredet wird. Ich ignoriere meine eigene Sterblichkeit meistens so gut es geht. Erst wenn nahe Verwandte sterben, werde ich schmerzlich an meine eigne Sterblichkeit erinnert. Wahrscheinlich haben Menschen deshalb verschiedene Strategien entwickelt, sich unsterblich zu machen.

Ewige Jugend

Ob Bäder in Milch, Jungbrunnen oder Drachenblut: Wir haben einen Kult um die Jugend etabliert, dem sich keiner entziehen kann. Wir wollen gesund sein bis ins hohe Alter, wollen keine kahlen Stellen auf dem Kopf und einen durchtrainierten Körper.

Nebst der Tatsache, dass es sich in einem gesunden Körper viel besser aushalten lässt und wir mit dem Alter eine Zunahme an Gebrechen verbinden, laufen wir mit jedem Tag, den wir älter werden, dem unausweichlichen ein Stück entgegen.

Das können wir allerdings vor allem durch die Unbestimmtheit unseres eigenen Todes gut verdrängen. Allerdings steigt die Wahrscheinlichkeit zu sterben mit jedem Tag, den wir leben. Und wenn die Haut sich langsam in Falten legt, der Gang langsamer und der messerscharfe Verstand Stück für Stück durch Altersmilde verdrängt wird, wird es immer schwerer die eigene Sterblichkeit zu verleugnen.

Um die endgültige Perfektion herauszuschieben, gehen wir zum Arzt, trinken viel Wasser, essen das auf neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen basierende Super-Food, machen unser tägliches Workout, tragen Tagescremes auf, lassen uns ein Toupé anfertigen und ab und an ein bisschen Botox. Wann der gesunde Lebensstil zum Jungendkult oder sogar Jugendwahn wird, liegt im gelaserten und gelifteten Auge des Betrachters.

In Geschichten unsterblich

Wer im Geschichtsunterricht aufgepasst hat, kennt Karl den Großen, den Vater des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation. Erzählungen konservieren nicht nur eine Vorstellung davon, woher wir kommen, warum manchen Dinge sind, wie sie sind, sondern beeinflussen unser Denken und Handeln. Damit sind Menschen nicht nur in ihren Handlungen, sondern auch in ihren Narrativen wirksam.

Der Mensch ist erst wirklich tot, wenn niemand mehr an ihn denkt.

Berthold Brecht

Berthold Brecht hat es mit einem Satz auf den Punkt gebracht: „Der Mensch ist erst wirklich tot, wenn niemand mehr an ihn denkt.“ Erst, wenn sich keiner mehr an den Karl den Großen erinnern kann, es kein Geschichtsbuch mehr gibt, das seinen Namen in sich trägt, er wirklich vergessen ist, beeinflusst er nicht mehr das Weltgeschehen.

Als deutscher Staatsbürger ist mein Weltbild von einer ganz furchtbaren Geschichte geprägt: Mitte des 20. Jahrhunderts wurde die Welt von Menschen mit faschistischer Ideologie heimgesucht und verwüstet. Dabei wird das Narrativ derer, die diese Ereignisse maßgeblich beeinflusst haben, sicher von dem abweichen, was ich heute erzählen werde. Sie standen auf einer anderen Seite der Geschichte. Erst meine Erzählung fügt eine Wertung hinzu. Auch sie sind auf ihre Art und Weise unsterblich.

Es gibt immer Menschen, die Geschichten erzählen. Und darunter gibt es auch heute gefährliche Narrative. Erzählungen von Überlegenheit und Stärke, von Ansprüchen aus Tradition, von Vergeltung und von selbsternannten Opfern, die zurückfordern, was ihnen zustünde.

Die Verbreitung von Erzählungen hat einen Einfluss. Welche Geschichten ich wem und wie erzähle verändert Denken und Handeln. Deshalb möchte ich die Geschichten reflektieren, die ich erzähle. Ich möchte Narrative bewusst und mit einer Intension verbreiten.

Dazu eine Idee aus einem Reddit-Post: In welchem Kontext wird dein Name das letzte mal fallen? Mit was verbindet dich der Mensch, der das letzte mal an dich denkt?

Meine Kinder sind ein Teil von mir

Auch wenn wir uns als rational darstellen, sind wir als Lebewesen auf Arterhaltung programmiert. Unsere Sexualität und der Impuls uns fortpflanzen zu wollen sind fest in uns verankert. Hormone steuern unsere sexuelle Entwicklung, beeinflussen unser Verlangen nach Sex, die Freude daran, Schwangerschaft und Bindung zum Kind. Wir entscheiden uns nicht für oder gegen unsere Sexualität und suchen sie uns auch nicht aus.

Es ist manchmal schwierig unsere Biologie mit unserer Ratio zu vereinbaren. Insbesondere die Narrative um unsere biologische und sexuelle Identität, zum Beispiel Ethnozentrismus oder Homo- und Transphobie, verstehe ich als Versuch, diesen unbeeinflussbaren Teil von uns zu erklären und zu kontrollieren. Ich muss die Narrative nicht gut finden, kann sie aber nachvollziehen.

Wir wollen für unsere Nachkommen die besten Voraussetzungen schaffen und die besseren Gene oder den leistungslosen ökonomischen Aufstieg weitergeben. Schließlich lebt in unseren Kindern ein Teil von uns weiter.

Ideen sterben nicht

Eine Beobachtung, eine Abstraktion, ein Konzept und ein Modell sind sehr beständig. Newtons Beschreibung der Schwerkraftwirkung und Einsteins Modell von Raumzeit überdauern beide.

Während Geschichte vom Standpunkt des Erzählenden abhängt, sind die Erkenntnisse von Newton und Einstein allgemeiner. Wissenschaft hat zum Ziel allgemeingültige Zusammenhänge zu finden, zu überprüfen und für andere zugänglich zu machen.

Damit haben wir Menschen einen evolutionären Vorteil: Während die Natur auf den Zufall warten muss, bis sie eine vorteilhafte Mutation weitergeben kann, können wir den Generationen nach uns unsere Erkenntnisse zur Verfügung stellen. In der Hoffnung, dass sie die Experimente nicht wiederholen muss, aus dem Wissen ihren Vorteil ziehen kann und das Erbe mit neuen Erkenntnissen anreichern kann.

Im Namen von Ideen können wir aber auch Schaden anrichten: Wenn ich mein Wissen nicht hinterfrage, wird daraus schnell unreflektierter Glauben. Wenn ich meine Ideen anderen aufoktroyiere statt anzubieten, wird daraus ideologische Missionierung. Wenn es mehr um mich, als um die Idee geht, beschädige ich die Glaubwürdigkeit der Idee.

Wenn wir eine originäre Idee uneitel weitergeben, können wir über unser Leben hinaus unsere Gesellschaft beeinflussen.

Die Prämisse der unendlichen Gesellschaft

Eines haben die Erinnerung in Geschichten, die Weitergabe unserer Gene und das Bereitstellen von Ideen gemein: Es muss jemand da sein, der die Geschichten erzählt, der die Kinder aufzieht und der die Ideen versteht. Wir alle sterben mit dem letzten Menschen, der sich an uns erinnert, der Kinder haben möchte und der unser Wissen weiterträgt.

Ich habe hier die Existenz einer Gesellschaft vorausgesetzt. Darf ich das? Unter welchen Umständen kann eine Gesellschaft überdauern? Und was kann ich dazu beitragen, dass meine Gesellschaft lebenswert wird und bleibt?

Fünf Dinge, die mir in den USA gefallen

Nach einem holprigen Start in den USA möchte ich dieses Land mit seinen herausragend positiven Seiten darstellen: Es gibt Dinge, die mir in Austin sehr gut gefallen. Und die möchte ich mit euch teilen. Nicht nur weil ich einfach unglaublich gerne teile, sondern auch als Anregungen, was wir in Deutschland noch besser machen könnten.

Apartment-Komplexe mit Fitnessstudio und Aufenthaltsbereichen

Zum Glück zahlt meine Firma meine Miete, sonst könnte ich mir eine Wohnung im Quincy, Austin absolut nicht leisten. Aber es gibt auch erschwinglichere Apartment-Komplexe, die Annehmlichkeiten bieten. Ganz typisch sind Fitnessstudio, ein Pool und ein Aufenthaltsbereich mit Kaffeeküche. Bei mir sind zum Beispiel auch Arbeitsbereich und ein Fahrradraum dabei.

Das Fitnessstudio im Apartmentkomplex bietet gleich mehrere Vorteile: Das niederschwellige Angebot hilft ungemein die eigene Bequemlichkeit zu überwinden. So kann man auch spontan, zum Beispiel vor oder nach der Arbeit mal eine Runde laufen gehen.

Darüber hinaus sind nur Mieter des Komplexes hier. Deshalb ist es meistens nicht so voll. Außerdem, und das fällt mir etwas schwer zuzugeben, finde ich es angenehm einen sozialen Mix zu haben. Ich habe mich in der testosteronschwangeren Atmosphäre meines Fitnessstudios in Dresden oft unwohl gefühlt. Ich fühle mich ein bisschen besser, wenn ich nicht der einzige „Lauch“ in der Muckibude bin. Schließlich möchte ich mich fit halten und nicht meine kostbare Zeit in Bodybuilder-Aspirationsfantasien investieren.

Die verbringe ich lieber in den Aufenthaltsbereichen. Die sind oft wohnlich möbliert und mit weiteren Annehmlichkeiten, wie Billardtischen und Bluetooth-Lautsprechern ausgestattet. Das allerbeste daran ist allerdings, dass man sich hier mit Freunden oder alleine aufhalten kann ohne etwas konsumieren zu müssen. In diesem hyperkommerzialisierten Land ist dieser Rückzugsort für mich unglaublich wertvoll. Fun-fact: Diese Liste entsteht gerade im Aufenthaltsbereich meines Apartmentkomplex.

Perfekt gepflegte National Parks

Auf meiner „Bucket-List“ steht der Besuch der US National Parks ganz oben. Mit einem lieb gewonnenen Freund habe ich kürzlich drei Parks besucht: Guadalupe Mountains, White Sands und Carlsbad Caverns.

Es ist eine stundenlang Fahrt durch eine wüste Ebene (oder ebene Wüste?), deren höchste Erhebungen die ikonischen Ölbohrtürme sind, bis man von Austin aus diese National Parks erreicht. Das und die wohl schlechteste Pizza aller Zeiten aus einem Pizza Hut in Pecos sind es aber allemal Wert.

Wenn man auf dem McKittrick Trail im Guadalupe National Park läuft, findet man keinen weggeworfenen Zigarettenstummel an den Wegrändern. Wenn man durch den weißen Sand von White Sands läuft, ist trotz der vielen Besucherinnen und Besucher keinerlei Verpackungsmüll im Sand vergraben. Und in Carlsbad Caverns brechen sich trotz der immensen Größe Touristen keine Souvenire aus den Stalagmiten1.

Einen National Park zu besuchen ist ein bisschen wie das Betreten einer heiligen Stätte. Es ist ein Sakrileg, diese Tempel der unberührten Natur mit seinem Abfall zu entehren. Ich habe mich kaum getraut, einen Apfelbutzen in einen Busch zu werfen.

Was das Erfolgsrezept der amerikanischen Nationalparks ist, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen. Sicher sind die atemberaubende Natur, ausreichende finanzieller Unterstützung und eine gelungenen Öffentlichkeitsarbeit essentielle Bestandteile.

1 Stalagmiten sind die Säulen, die nach oben wachsen. Stalaktiten wachsen nach unten. Meine neu gelernte Merkregel: Das m ist nach oben gewölbt, das t nach unten.

Anti-Diskriminierungstrainings

Zur üblichen Onboarding-Prozedur gehört auch, dass mir gleich zu Beginn eine ganze Stange an Trainings zugewiesen wird. Darunter war auch ein obligatorisches „Anti-Diskriminierungstraining“, das ich so lange aufgeschoben habe, wie es ging. Aus Deutschland bin ich gewohnt, eine Online-Präsentation durchzuklicken und am Ende zehn bis fünfzehn super spezifische aber wenig verständnisfördernde Fragen zum Training zu beantworten.

Auch wenn das Training hier nicht an den Säulen „online“, „durchklicken“ oder „Abschlusstest“ rüttelt, gibt es hier Videos, die den Inhalt plastisch vermitteln. Die Fragen zur Überprüfung des Lerninhalts ergeben sogar Sinn und wirken nicht aus der Luft gegriffen.

Darüber hinaus ist es allerdings weit mehr als dieses Training. Die gesamte Kultur legt sehr viel Wert darauf, diskriminierungsarm zu sein. Die mangelnde Reflektion, die ich vielen Amerikaner*innen bei Umweltbewusstsein und Politikverständnis vorwerfe, wäre bei der Inklusion definitiv unangebracht.

Es scheint auf den ersten Blick paradox, dass das Land des Individualismus mit einer sehr ungleichen Gesellschaft so viel Wert auf Gleichbehandlung legt. Vielleicht ist es gerade das öffentliche Bekenntnis zur Gleichbehandlung, das diese Gesellschaft mit sehr ungleichen Ausgangsbedingungen zusammenhält. Mit Sicherheit ist es eine Folge der soziopolitischen Entwicklung der Vereinigten Staaten.

Begehbare Wandschränke

Kleiderschränke nehmen Platz weg, bei jeder Bewegung brechen Rückwände heraus und egal wie man den Schrank platziert entstehen schwer zugängliche Ritzen, in denen sich der Staub sammelt. Vielleicht hat man auch einen schönen, alten Kleiderschrank, der sich aber schlecht mit den anderen Möbeln kombinieren lässt. Oder man stellt sich einen super teuren Einbauschrank nach Maß zusammen, den man dann aber beim nächsten Umzug nicht mitnehmen kann.

Deshalb bin ich ein designierter Fan von begehbaren Kleiderschränken. Seine Klamotten und auch anderen Krempel hinter einer Wand zu verstecken ist so naheliegend wie genial. Der Platz für den begehbaren Kleiderschrank würde ohnehin durch einen Kleiderschrank eingenommen werden und so hat man statt einer Schrankfront lediglich eine Wand, an der man ein Bild oder ein Regal platzieren kann.

Ich behaupte, dass sich beinahe jede Wohnung problemlos nachrüsten und aufwerten lässt. Für den Preis eines großen Wandschranks lässt sich eine Trockenbauwand mit Gipskarton einziehen. Verputzen, Tapete drüber, einen Teppich und eine Kleiderstange rein und fertig ist der perfekte Stauraum. Das wird auch jede Nachmieterin liebend gerne übernehmen!

Dachterrassen

Es gibt Plätze, die sollten für die Allgemeinheit zugänglich sein. Dazu gehören Parks und Wälder. Leider gibt es von beiden in Austin nicht ausreichend.

Dafür gibt es reichlich Dächer. Ganz egal, ob es der private Apartmentkomplex, das Bürohochhaus oder das Hotel in der Innenstadt ist: Der schönste Ort, die Dachterrasse, ist zugänglich.

Um dem Lärm der Häuserschluchten und der Straßen zu entgehen ist nichts naheliegender, als auf das Dach zu flüchten. Insbesondere wenn die Stadt in der Nacht leuchtet, ist ein kaltes Getränk beim Beobachten der sich bewegenden Punkte und Formen weiter unten beruhigend. Es hat etwas meditatives, in die Weite zu starren und die Gedanken schweifen zu lassen.

Der milde Wind dämpft den Lärm. Aus der Distanz des dreißigsten Stockwerks verschwimmen graue Details. Über sie erhaben wird auch die Betonwüste mild und gnädig.

Bonusmaterial

Oft ist es nicht, dass es mir nicht positiv auffällt, sondern dass ich mir zunächst gar nicht bewusst bin, dass das auf die Liste gehört. Deshalb muss ich diese Liste erweitern. Ich hoffe sehr, dass ich sie immer wieder erweitern kann.

  • Einbauküchen die zur Wohnung gehören: Ich meine, wer kommt auf die Idee „Lass mal diese maßgefertigte Küche für diese Wohnung in eine neue Wohnung umziehen, wo sie nicht reinpasst!“?
  • Peanut Butter filled Pretzels: Erdnussbutter in einem Kissen aus Laugenstangenteig. Health nerf, addiction buff.
  • Drain Weasle: Ein langer, flexibler Plastikstab mit Widerhaken am Ende, mit dem man Haare aus dem verstopften Ausguss gefischt bekommt. Gibt’s für ca. $1 im HEB und ist tausendmal effektiver als Rohrreiniger.
  • River Floating: Sich mit Freunden und Kaltgetränken in einem aufblasbaren Ring einen Fluss heruntertreiben lassen.
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Nein, ich habe keine Freundin

Ich bin 27 Jahre alt und hatte noch nie eine richtige Freundin. Das heißt nicht, dass ich misogyn, soziopathisch oder entstellt bin. Zumindest nicht zwangsläufig. Ich fühle mich meistens sehr unwohl, wenn das Thema Liebe, Sex und Beziehung aufkommt. Deshalb möchte ich hier schildern, wie ich das empfinde und hoffe, dass der Leser verstehen kann, warum.

Ich gehöre zu den „digital natives“ und bin mit dem Internet aufgewachsen. Deshalb verbringe ich viel Zeit im Netz, unter anderem auf Seiten wie reddit. Unter vielen Subreddits, die ich aktiv lese ist auch r/niceguys. Das ist ein Forum, in dem die abscheulichsten Seiten von meistens jungen Männern gegenüber Frauen zur Schau gestellt werden. Da ich wahrscheinlich keine Teilnehmer der dort dargestellten Communiqués persönlich kenne, kann ich nur vermuten, was in ihnen vorgeht, aber das ist nie eine Entschuldigung für Frauenhass. Persönlich habe ich mich schon sehr falsch gegenüber Frauen verhalten und dafür schäme ich mich sehr. Das werde ich auch nicht loswerden und möchte ich auch nicht kleinreden. Da ich mich aber nicht (mehr) damit identifizieren kann und will, möchte ich auch nicht näher darauf eingehen.

Dennoch fühle ich mich genötigt, diesen Absatz zu schreiben, weil ich mich mit diesem Vorwurf konfrontiert sehe, wenn ich darüber rede, dass ich keine Freundin habe. Gerade gestern habe ich ein gemütliches Bier mit zwei Freunden genossen, als das Thema aufkam. Dabei ist das Schema der Konversation ziemlich charakteristisch gewesen. Zunächst sind beide schockiert, dass ich in meinem Alter noch keine Freundin hatte, das kann ich durchaus nachvollziehen. Dann aber wird der Rückschluss getroffen: Eine Freundin zu haben, ist etwas normales, folglich muss mit mir etwas nicht stimmen. Und ab dann wird es für mich sehr unangenehm. Ich möchte hier ein paar typische Reaktionen schildern.

Es ist ein paar Jahre her, dass ich einen so engen Kontakt zu einem meiner besten Freunde hatte. Damals haben wir uns relativ häufig über Liebe und Sexualität unterhalten. Ich habe zugegebenermaßen gerne gejammert, dass ich keine Freundin finde. Daraufhin meinte er, dass ich „einfach ich selbst sein“ solle. Im Gespräch mit ihm sei ich ja auch umgänglich und entspannt. Ich würde auch so gestelzt hochdeutsch reden und dass das nicht gut ankäme.

Gestern meinte ein anderer Freund zu mir, dass das mit den Frauen garnicht so schwer wäre. Deshalb schlug er mir vor, bestimmte Verhaltensmuster zu adaptieren. Selbiger Freund hat mir YouTube-Videos vorgeschlagen von einem Mann, der Frauen anbaggert und damit erfolgreich ist. Es sei Überwindung der eigenen Comfort-Zone, man müsse Rückschläge vertragen können, deutlich offensiver an die Sache herangehen und einfach mal über seinen Schatten springen. Auch mal seine eigenen Prinzipien nicht ganz so ernst nehmen und einfach machen.

Der weitere Freund, der am gestrigen Gespräch zugegen war, hat laut eigener Aussage (und das ist durchaus plausibel) viel Sex mit wechselnden Partnerinnen. Er könne sich ein Leben ohne Frau nicht vorstellen und mich nicht verstehen. Und dann fing er an zu erzählen, wie das bei ihm so alles gelaufen ist. Wann er sein erstes Mal hatte, wie sich seine Sexualität entwickelt hat, was er dazugelernt hat, wie er zwischen Sex und Liebe differenziert und was er für eine ideale Beziehung hält.

Die drei Beispiele sind exemplarisch für das, was ich zu hören bekomme, wenn ich darüber reden möchte, dass ich keine Freundin habe, mir aber durchaus eine wünsche. Dabei habe ich das Gefühl, dass ich in diesem Moment darauf reduziert werde, keine Freundin zu haben. Das wird als Makel, als Fehler in meiner Person gesehen und den gilt es offenbar zu beheben. Deshalb bekomme ich dann gut gemeinte Ratschläge, gemischt mit ein wenig Unverständnis. Dass das aber zu meiner Person dazu gehört und auch immer dazugehören wird, ist schwer zu vermitteln. Natürlich denke ich manchmal, dass mir etwas fehlt, aber bisher hab ich auch ohne Freundin überlebt. Ich bin nicht weniger ich selbst, weil ich keine Freundin habe. Im Gegenteil; das gehört auch zu meiner Person dazu und das ist erstmal weder gut noch schlecht, sondern es ist einfach so.

Ich empfinde es als anstrengend, wenn ich mir sich teilweise widersprechende Tipps geben lassen muss, was ich verändern und verbessern kann. Ich habe auch viele von diesen Tipps immer mal versucht umzusetzen und bin dadurch trotzdem dort, wo ich jetzt bin. Manchmal finde ich Tipps nicht gut, habe sie bereits erfolglos umgesetzt oder möchte sie nicht umsetzen. Dann heißt es schnell, dass ich mir ja nicht helfen lassen wolle und ich nicht jammern solle. Wenn ich mit einem Freund schon mehr als einmal darüber geredet habe, dann kommt manchmal auch zurück, dass ich dann doch nicht immer mit derselben Leier kommen solle, wenn ich nichts verändern würde.

Natürlich nehme ich konstruktive Kritik gerne an und selbstverständlich versuche ich mich zu entwickeln. Aber wenn ich erzähle, dass ich keine Freundin habe und mir eine wünschen würde, dann nicht, weil ich ein Ideen-Briefkasten oder eine Beziehungs-Sandbox zum ausprobieren bin. Wenn ich darüber reden möchte, dann heißt das meist, dass ich momentan darüber nachdenke und ich jemanden gebrauchen könnte, der mir zuhört.

Ein paar Dinge sind in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten deutlich besser geworden, weil sie gesellschaftlich akzeptiert wurden. Ich bin als „Langzeit-Single“ ein Teil unserer Gesellschaft und auch nicht alleine. Ich versuche meinen Beitrag in der Gesellschaft zu leisten, ein guter Freund und Mensch zu sein. An mir ist nichts falsch und ich bin nicht krank, weil ich keine Freundin habe.

Zum Schluss möchte ich ein weiteres Beispiel von einem weiteren Freund nennen, mit dem ich über dasselbe Thema geredet habe. Es ist ein Kontrast zu dem, was ich bisher erlebt habe und hat sich an einer Feuertonne irgendwann im Dezember letzten Jahres zugetragen. Ich habe ihm erzählt, dass ich bisher keine Freundin hatte, das ich durchaus mit Frauen Kontakt habe, mir auch ein paar Frauen näher gekommen sind. Vieles von dem was ich erlebt habe, sind nicht so schöne Erfahrungen, manche sind besser. Er hat mir zugehört, ab und an erzählt was er wie erlebt hat und als ich mich verabschiedet habe, gesagt: „Du bist gut wie Du bist, ich unterstütze Dich, wenn Du meine Hilfe brauchst und alles andere wird sich zu seiner Zeit ergeben“.

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