Eigentlich hatte ich gehofft, dass das inflationäre Aufflammen von Verschwörungstheorien zu Anfang der COVID-19 Pandemie sich selbst überlassen von alleine erledigen würde. Ich glaube nach wie vor unverbrüchlich an die Räson der Menschen in diesem Land, auf diesem Planeten und damit so ziemlich an die der Menschheit allgemein. Allerdings hat sich dieser schon immer vor sich hinschwelende Brand neuerdings zu einem mittelschweren Waldbrand entwickelt. Neuerdings bekomme ich sogar aus meinem näheren Umfeld angetragen, dass dieser und seller wie auch immer gearteten Trugschlüssen und kruden Theorien aufsäße. Um mich dahingehend entschieden zu positionieren: Das finde ich nicht gut. Schon alleine Berichte von derartigem zu hören ist beunruhigend. Deshalb: Wie auch immer gearteten „alternativen Fakten“ auch nur Aufmerksamkeit zu schenken ist grundlegend falsch. Die einzigen, die sich gewinnbringend mit diesen beschäftigen können, sind Soziologen, die die Herkunft und Ausbreitung solcher Theorien studieren. Jetzt ist es aber nicht immer ganz einfach, Tatsachen von Verschwörungstheorien zu trennen. Gerade wenn die Hauptinformationsquelle soziale Medien sind, ist allein die Quantität der Meldungen erschlagend und man kann dem Unheil nur schwer ausweichen. Deshalb möchte ich mich hier damit beschäftigen, wie ich versuche tatsächliche Wahrheit von der dazu meist diametral stehenden „alternativen Wahrheit“ zu separieren. Sind beide Mengen orthogonal zueinander, ist das recht einfach, aber die Schöpfer solcher Theorien unterfüttern ihre Ansichten meist mit Wahrheitsfragmenten oder Halbwahrheiten um ihre Meinung glaubhaft zu machen.
1. Qualität vor Quantität
Wie bereits angedeutet, kann einen die Flut an Falschmeldungen auf Facebook, Twitter und Co. an schierer Quantität erschlagen. Online-Portale geben jedem die Möglichkeit seine Meinung kund zu tun. Bei ca. 32 Millionen deutschen Facebook-Nutzern hat gerade dieser Kanal eine große Reichweite. Die allermeisten Beiträge erweitern den öffentlichen Diskurs um eine weitere geschätzte Privatmeinung. Es gibt allerdings auch Nutzer, die statt einen gut recherchierten Beitrag lieber viele auf zumindest fragwürdiger Faktenlage basierende Beiträge veröffentlichen. Auch die sogenannte ‚Filterblase‘ kann dazu führen, dass Beiträge mit bestimmtem Inhalt inflationär angezeigt werden und damit überproportional präsent sind. Es fällt oft nur allzu leicht, sich einer Mehrheit anzuschließen, auch wenn diese nur künstlich ist. Das darf keinesfalls als Kriterium für den Wahrheitsgehalt genommen werden.
Es mag paradox wirken, dass ich gerade das empfehle, was oft als „wacht auf!“ an die „Systemschafe“ gerichtet wird. Allerdings maße ich mir an, damit eine leicht abgewandelte Aussage zu treffen; „Quantität ist nicht proportional zu Qualität“ – oft ist sogar das Gegenteil der Fall – statt „Glaubt nicht den anderen, glaubt mir, weil ich sage die Wahrheit“.
2. Glaubwürdige Quellen haben das reinere Wasser
Die vielen Stimmen auf sozialen Medien verbreiten ein Meinungs- und Stimmungsbild, das oft über einfache Heterogenität hinausgeht. Statt in der Flut aus sich gegenseitig widersprechenden Meinungen unterzugehen, lohnt es, auf Menschen zu vertrauen, die ihre Leben der Findung von Informationen und Wahrheit oder deren Darstellung gewidmet haben. Da aber nicht jeder, mich eingeschlossen, die Muße und Expertise hat, sich mit wissenschaftlichen Veröffentlichungen auseinanderzusetzen, gibt es Journalisten, die versuchen, dieses Fachwissen für den ‚Normalbürger‘ zu übersetzen. Es ist nicht nur sinnvoll auf die Journalisten zu vertrauen, die bekanntermaßen unvoreingenommene und gute Arbeit machen, sondern auch deren Quellen können manchmal zumindest eingesehen werden. Ist die Quelle ein angesehenes wissenschaftliches Institut und die Plattform ein großes öffentliches Medium, dem bei Falschmeldung Vertrauensverlust und Gewinneinbußen drohen, so ist die Wahrscheinlichkeit hoch, hier eine belastbare Information zu erhalten. Bei privaten Bildungseinrichtungen, anonymen Social-Media-Accounts, Kanälen von Interessengruppen und kleinen, ausschließlich im Netz erscheinenden und selbsternannten Nachrichtenportalen ist Vorsicht geboten und die gegebene Information sollte zumindest sehr kritisch geprüft werden, ehe man sie in den eigenen Horizont aufnimmt.
Auch große Medien verbreiten nebst recherchierten und zusammengetragenen Informationen Meinungen. Diese sind aber fast immer als solche gut sicht-, hör- und lesbar gekennzeichnet und bedürfen der Interpretation des Konsumenten.
3. Überprüfbarkeit als Daumenmaß
Verschwörungstheorien können manchmal nicht direkt als Unwahrheit entlarvt werden. Unter anderem, da die Argumentation ihrer Anhänger einem Beteiligung daran oder Beeinflussbarkeit unterstellen. Außerdem sind die vermeintlichen Hintergründe der Theorien meist nur schwer oder garnicht überprüfbar, von niemandem. Oft sind das unmoralische Allianzen, geheime Bündnisse oder sinistre Absichten einzelner Mächtiger. Fragt man sich, wer das wann überprüfen könnte und ist der Schluss Niemand und niemals, dann muss der Theorie nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt werden, da sie wohl immer These ohne Beweis bleiben wird. Wie in einem Gerichtsprozess gilt auch hier: Indizien sind keine Beweise!
4. Ockhams Rasiermesser schneidet scharf
Verschwörungstheorien bieten meist eine alternative Erklärung zu real geschehenden Ereignissen. Dabei entsteht das Dilemma, dass diese Schilderungen nicht mit dem allgemein anerkannten Wissensstand vereinbar ist. Von der Theorie wird aber der monotheistische Anspruch erhoben, die einzige Wahrheit zu sein, an die geglaubt werden soll. Wem soll also vertraut werden? Dafür bietet Ockhams Rasiermesser ein probates Mittel. Das Prinzip heißt Einfachheit. Es sollten nur so viele Variablen in die Lösung gesteckt werden, wie notwendig sind um das Problem zu lösen, oder anders: Die einfachere Erklärung ist im Zweifelsfall der komplexen vorzuziehen. So ist es zum Beispiel einfacher zu akzeptieren, dass man auf der A2 die Ausfahrt Bielefeld schlicht verpasst hat, statt die Existenz der ganzen Stadt in Frage zu stellen.
Schlusswort
Bei allem, was ich in dieser Kürze zu diesem Thema geschrieben habe, möchte ich darauf hinweisen, dass meine Internet-Expertise auf keinen Fall das Fachwissen von Experten ersetzt. Wenn ich Bedarf sehe, behalte ich mir die Bearbeitung dieses Artikels vor. Dieser Beitrag soll im Idealfall eine Stütze für diejenigen sein, die Verschwörungstheorien ausgesetzt sind und Anhaltspunkte suchen, wie sie damit umgehen können.
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