Monat: Juni 2024

Streben nach Unsterblichkeit

Mit ausgewählten Freund*innen habe ich diese Theorie diskutiert. Jetzt habe ich einen wunderbaren Anfang gefunden: Am Dienstag habe ich Cyberpunk 2077 das erste mal durchgespielt. Deshalb an dieser Stelle: Vorsicht! Spoiler-Alarm!

Während Generationen vor uns den Buchdruck, Radioübertragung, die Massenproduktion von Tonträgern und die Blütezeit der Filmindustrie erlebt haben, ist nun das Videospiel zweifelsohne die beeindruckendste kulturelle Entwicklung unserer Zeit. Cyberpunk ist ein herausragendes Beispiel für die Bearbeitung philosophischer und kultureller Fragen unserer Zeit. In diesem Kontext ist Cyberpunk 2077 gespielt zu haben, wie Schiller gelesen, Kraftwerk auf Langspielplatte gehört oder „Angst essen Seele auf“ im Kino gesehen zu haben.

Cyberpunk 2077 beschäftigt sich gleich mit mehreren soziokulturellen Fragen. Zum Beispiel wie wir mit technischen Verbesserungen am menschlichen Körper umgehen. Die alternativen Enden hingegen beschäftigen sich mit nichts weniger, als mit der Frage nach dem Sinn des Lebens. Je nachdem, wie man die Gabelungen im Schicksal des Hauptcharakters „V“ wählt, wird diese Frage anders beantwortet. Allen gemein ist meiner Meinung nach das mehr oder weniger erfolgreiche Streben nach Unsterblichkeit.

Der Tod, vor allem der eigene ist kein direktes Tabuthema, aber die Vorstellung irgendwann nicht mehr zu existieren ist so unvorstellbar, dass in meinem sozialen Kreis kaum darüber geredet wird. Ich ignoriere meine eigene Sterblichkeit meistens so gut es geht. Erst wenn nahe Verwandte sterben, werde ich schmerzlich an meine eigne Sterblichkeit erinnert. Wahrscheinlich haben Menschen deshalb verschiedene Strategien entwickelt, sich unsterblich zu machen.

Ewige Jugend

Ob Bäder in Milch, Jungbrunnen oder Drachenblut: Wir haben einen Kult um die Jugend etabliert, dem sich keiner entziehen kann. Wir wollen gesund sein bis ins hohe Alter, wollen keine kahlen Stellen auf dem Kopf und einen durchtrainierten Körper.

Nebst der Tatsache, dass es sich in einem gesunden Körper viel besser aushalten lässt und wir mit dem Alter eine Zunahme an Gebrechen verbinden, laufen wir mit jedem Tag, den wir älter werden, dem unausweichlichen ein Stück entgegen.

Das können wir allerdings vor allem durch die Unbestimmtheit unseres eigenen Todes gut verdrängen. Allerdings steigt die Wahrscheinlichkeit zu sterben mit jedem Tag, den wir leben. Und wenn die Haut sich langsam in Falten legt, der Gang langsamer und der messerscharfe Verstand Stück für Stück durch Altersmilde verdrängt wird, wird es immer schwerer die eigene Sterblichkeit zu verleugnen.

Um die endgültige Perfektion herauszuschieben, gehen wir zum Arzt, trinken viel Wasser, essen das auf neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen basierende Super-Food, machen unser tägliches Workout, tragen Tagescremes auf, lassen uns ein Toupé anfertigen und ab und an ein bisschen Botox. Wann der gesunde Lebensstil zum Jungendkult oder sogar Jugendwahn wird, liegt im gelaserten und gelifteten Auge des Betrachters.

In Geschichten unsterblich

Wer im Geschichtsunterricht aufgepasst hat, kennt Karl den Großen, den Vater des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation. Erzählungen konservieren nicht nur eine Vorstellung davon, woher wir kommen, warum manchen Dinge sind, wie sie sind, sondern beeinflussen unser Denken und Handeln. Damit sind Menschen nicht nur in ihren Handlungen, sondern auch in ihren Narrativen wirksam.

Der Mensch ist erst wirklich tot, wenn niemand mehr an ihn denkt.

Berthold Brecht

Berthold Brecht hat es mit einem Satz auf den Punkt gebracht: „Der Mensch ist erst wirklich tot, wenn niemand mehr an ihn denkt.“ Erst, wenn sich keiner mehr an den Karl den Großen erinnern kann, es kein Geschichtsbuch mehr gibt, das seinen Namen in sich trägt, er wirklich vergessen ist, beeinflusst er nicht mehr das Weltgeschehen.

Als deutscher Staatsbürger ist mein Weltbild von einer ganz furchtbaren Geschichte geprägt: Mitte des 20. Jahrhunderts wurde die Welt von Menschen mit faschistischer Ideologie heimgesucht und verwüstet. Dabei wird das Narrativ derer, die diese Ereignisse maßgeblich beeinflusst haben, sicher von dem abweichen, was ich heute erzählen werde. Sie standen auf einer anderen Seite der Geschichte. Erst meine Erzählung fügt eine Wertung hinzu. Auch sie sind auf ihre Art und Weise unsterblich.

Es gibt immer Menschen, die Geschichten erzählen. Und darunter gibt es auch heute gefährliche Narrative. Erzählungen von Überlegenheit und Stärke, von Ansprüchen aus Tradition, von Vergeltung und von selbsternannten Opfern, die zurückfordern, was ihnen zustünde.

Die Verbreitung von Erzählungen hat einen Einfluss. Welche Geschichten ich wem und wie erzähle verändert Denken und Handeln. Deshalb möchte ich die Geschichten reflektieren, die ich erzähle. Ich möchte Narrative bewusst und mit einer Intension verbreiten.

Dazu eine Idee aus einem Reddit-Post: In welchem Kontext wird dein Name das letzte mal fallen? Mit was verbindet dich der Mensch, der das letzte mal an dich denkt?

Meine Kinder sind ein Teil von mir

Auch wenn wir uns als rational darstellen, sind wir als Lebewesen auf Arterhaltung programmiert. Unsere Sexualität und der Impuls uns fortpflanzen zu wollen sind fest in uns verankert. Hormone steuern unsere sexuelle Entwicklung, beeinflussen unser Verlangen nach Sex, die Freude daran, Schwangerschaft und Bindung zum Kind. Wir entscheiden uns nicht für oder gegen unsere Sexualität und suchen sie uns auch nicht aus.

Es ist manchmal schwierig unsere Biologie mit unserer Ratio zu vereinbaren. Insbesondere die Narrative um unsere biologische und sexuelle Identität, zum Beispiel Ethnozentrismus oder Homo- und Transphobie, verstehe ich als Versuch, diesen unbeeinflussbaren Teil von uns zu erklären und zu kontrollieren. Ich muss die Narrative nicht gut finden, kann sie aber nachvollziehen.

Wir wollen für unsere Nachkommen die besten Voraussetzungen schaffen und die besseren Gene oder den leistungslosen ökonomischen Aufstieg weitergeben. Schließlich lebt in unseren Kindern ein Teil von uns weiter.

Ideen sterben nicht

Eine Beobachtung, eine Abstraktion, ein Konzept und ein Modell sind sehr beständig. Newtons Beschreibung der Schwerkraftwirkung und Einsteins Modell von Raumzeit überdauern beide.

Während Geschichte vom Standpunkt des Erzählenden abhängt, sind die Erkenntnisse von Newton und Einstein allgemeiner. Wissenschaft hat zum Ziel allgemeingültige Zusammenhänge zu finden, zu überprüfen und für andere zugänglich zu machen.

Damit haben wir Menschen einen evolutionären Vorteil: Während die Natur auf den Zufall warten muss, bis sie eine vorteilhafte Mutation weitergeben kann, können wir den Generationen nach uns unsere Erkenntnisse zur Verfügung stellen. In der Hoffnung, dass sie die Experimente nicht wiederholen muss, aus dem Wissen ihren Vorteil ziehen kann und das Erbe mit neuen Erkenntnissen anreichern kann.

Im Namen von Ideen können wir aber auch Schaden anrichten: Wenn ich mein Wissen nicht hinterfrage, wird daraus schnell unreflektierter Glauben. Wenn ich meine Ideen anderen aufoktroyiere statt anzubieten, wird daraus ideologische Missionierung. Wenn es mehr um mich, als um die Idee geht, beschädige ich die Glaubwürdigkeit der Idee.

Wenn wir eine originäre Idee uneitel weitergeben, können wir über unser Leben hinaus unsere Gesellschaft beeinflussen.

Die Prämisse der unendlichen Gesellschaft

Eines haben die Erinnerung in Geschichten, die Weitergabe unserer Gene und das Bereitstellen von Ideen gemein: Es muss jemand da sein, der die Geschichten erzählt, der die Kinder aufzieht und der die Ideen versteht. Wir alle sterben mit dem letzten Menschen, der sich an uns erinnert, der Kinder haben möchte und der unser Wissen weiterträgt.

Ich habe hier die Existenz einer Gesellschaft vorausgesetzt. Darf ich das? Unter welchen Umständen kann eine Gesellschaft überdauern? Und was kann ich dazu beitragen, dass meine Gesellschaft lebenswert wird und bleibt?

Fünf Dinge, die mir in den USA gefallen

Nach einem holprigen Start in den USA möchte ich dieses Land mit seinen herausragend positiven Seiten darstellen: Es gibt Dinge, die mir in Austin sehr gut gefallen. Und die möchte ich mit euch teilen. Nicht nur weil ich einfach unglaublich gerne teile, sondern auch als Anregungen, was wir in Deutschland noch besser machen könnten.

Apartment-Komplexe mit Fitnessstudio und Aufenthaltsbereichen

Zum Glück zahlt meine Firma meine Miete, sonst könnte ich mir eine Wohnung im Quincy, Austin absolut nicht leisten. Aber es gibt auch erschwinglichere Apartment-Komplexe, die Annehmlichkeiten bieten. Ganz typisch sind Fitnessstudio, ein Pool und ein Aufenthaltsbereich mit Kaffeeküche. Bei mir sind zum Beispiel auch Arbeitsbereich und ein Fahrradraum dabei.

Das Fitnessstudio im Apartmentkomplex bietet gleich mehrere Vorteile: Das niederschwellige Angebot hilft ungemein die eigene Bequemlichkeit zu überwinden. So kann man auch spontan, zum Beispiel vor oder nach der Arbeit mal eine Runde laufen gehen.

Darüber hinaus sind nur Mieter des Komplexes hier. Deshalb ist es meistens nicht so voll. Außerdem, und das fällt mir etwas schwer zuzugeben, finde ich es angenehm einen sozialen Mix zu haben. Ich habe mich in der testosteronschwangeren Atmosphäre meines Fitnessstudios in Dresden oft unwohl gefühlt. Ich fühle mich ein bisschen besser, wenn ich nicht der einzige „Lauch“ in der Muckibude bin. Schließlich möchte ich mich fit halten und nicht meine kostbare Zeit in Bodybuilder-Aspirationsfantasien investieren.

Die verbringe ich lieber in den Aufenthaltsbereichen. Die sind oft wohnlich möbliert und mit weiteren Annehmlichkeiten, wie Billardtischen und Bluetooth-Lautsprechern ausgestattet. Das allerbeste daran ist allerdings, dass man sich hier mit Freunden oder alleine aufhalten kann ohne etwas konsumieren zu müssen. In diesem hyperkommerzialisierten Land ist dieser Rückzugsort für mich unglaublich wertvoll. Fun-fact: Diese Liste entsteht gerade im Aufenthaltsbereich meines Apartmentkomplex.

Perfekt gepflegte National Parks

Auf meiner „Bucket-List“ steht der Besuch der US National Parks ganz oben. Mit einem lieb gewonnenen Freund habe ich kürzlich drei Parks besucht: Guadalupe Mountains, White Sands und Carlsbad Caverns.

Es ist eine stundenlang Fahrt durch eine wüste Ebene (oder ebene Wüste?), deren höchste Erhebungen die ikonischen Ölbohrtürme sind, bis man von Austin aus diese National Parks erreicht. Das und die wohl schlechteste Pizza aller Zeiten aus einem Pizza Hut in Pecos sind es aber allemal Wert.

Wenn man auf dem McKittrick Trail im Guadalupe National Park läuft, findet man keinen weggeworfenen Zigarettenstummel an den Wegrändern. Wenn man durch den weißen Sand von White Sands läuft, ist trotz der vielen Besucherinnen und Besucher keinerlei Verpackungsmüll im Sand vergraben. Und in Carlsbad Caverns brechen sich trotz der immensen Größe Touristen keine Souvenire aus den Stalagmiten1.

Einen National Park zu besuchen ist ein bisschen wie das Betreten einer heiligen Stätte. Es ist ein Sakrileg, diese Tempel der unberührten Natur mit seinem Abfall zu entehren. Ich habe mich kaum getraut, einen Apfelbutzen in einen Busch zu werfen.

Was das Erfolgsrezept der amerikanischen Nationalparks ist, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen. Sicher sind die atemberaubende Natur, ausreichende finanzieller Unterstützung und eine gelungenen Öffentlichkeitsarbeit essentielle Bestandteile.

1 Stalagmiten sind die Säulen, die nach oben wachsen. Stalaktiten wachsen nach unten. Meine neu gelernte Merkregel: Das m ist nach oben gewölbt, das t nach unten.

Anti-Diskriminierungstrainings

Zur üblichen Onboarding-Prozedur gehört auch, dass mir gleich zu Beginn eine ganze Stange an Trainings zugewiesen wird. Darunter war auch ein obligatorisches „Anti-Diskriminierungstraining“, das ich so lange aufgeschoben habe, wie es ging. Aus Deutschland bin ich gewohnt, eine Online-Präsentation durchzuklicken und am Ende zehn bis fünfzehn super spezifische aber wenig verständnisfördernde Fragen zum Training zu beantworten.

Auch wenn das Training hier nicht an den Säulen „online“, „durchklicken“ oder „Abschlusstest“ rüttelt, gibt es hier Videos, die den Inhalt plastisch vermitteln. Die Fragen zur Überprüfung des Lerninhalts ergeben sogar Sinn und wirken nicht aus der Luft gegriffen.

Darüber hinaus ist es allerdings weit mehr als dieses Training. Die gesamte Kultur legt sehr viel Wert darauf, diskriminierungsarm zu sein. Die mangelnde Reflektion, die ich vielen Amerikaner*innen bei Umweltbewusstsein und Politikverständnis vorwerfe, wäre bei der Inklusion definitiv unangebracht.

Es scheint auf den ersten Blick paradox, dass das Land des Individualismus mit einer sehr ungleichen Gesellschaft so viel Wert auf Gleichbehandlung legt. Vielleicht ist es gerade das öffentliche Bekenntnis zur Gleichbehandlung, das diese Gesellschaft mit sehr ungleichen Ausgangsbedingungen zusammenhält. Mit Sicherheit ist es eine Folge der soziopolitischen Entwicklung der Vereinigten Staaten.

Begehbare Wandschränke

Kleiderschränke nehmen Platz weg, bei jeder Bewegung brechen Rückwände heraus und egal wie man den Schrank platziert entstehen schwer zugängliche Ritzen, in denen sich der Staub sammelt. Vielleicht hat man auch einen schönen, alten Kleiderschrank, der sich aber schlecht mit den anderen Möbeln kombinieren lässt. Oder man stellt sich einen super teuren Einbauschrank nach Maß zusammen, den man dann aber beim nächsten Umzug nicht mitnehmen kann.

Deshalb bin ich ein designierter Fan von begehbaren Kleiderschränken. Seine Klamotten und auch anderen Krempel hinter einer Wand zu verstecken ist so naheliegend wie genial. Der Platz für den begehbaren Kleiderschrank würde ohnehin durch einen Kleiderschrank eingenommen werden und so hat man statt einer Schrankfront lediglich eine Wand, an der man ein Bild oder ein Regal platzieren kann.

Ich behaupte, dass sich beinahe jede Wohnung problemlos nachrüsten und aufwerten lässt. Für den Preis eines großen Wandschranks lässt sich eine Trockenbauwand mit Gipskarton einziehen. Verputzen, Tapete drüber, einen Teppich und eine Kleiderstange rein und fertig ist der perfekte Stauraum. Das wird auch jede Nachmieterin liebend gerne übernehmen!

Dachterrassen

Es gibt Plätze, die sollten für die Allgemeinheit zugänglich sein. Dazu gehören Parks und Wälder. Leider gibt es von beiden in Austin nicht ausreichend.

Dafür gibt es reichlich Dächer. Ganz egal, ob es der private Apartmentkomplex, das Bürohochhaus oder das Hotel in der Innenstadt ist: Der schönste Ort, die Dachterrasse, ist zugänglich.

Um dem Lärm der Häuserschluchten und der Straßen zu entgehen ist nichts naheliegender, als auf das Dach zu flüchten. Insbesondere wenn die Stadt in der Nacht leuchtet, ist ein kaltes Getränk beim Beobachten der sich bewegenden Punkte und Formen weiter unten beruhigend. Es hat etwas meditatives, in die Weite zu starren und die Gedanken schweifen zu lassen.

Der milde Wind dämpft den Lärm. Aus der Distanz des dreißigsten Stockwerks verschwimmen graue Details. Über sie erhaben wird auch die Betonwüste mild und gnädig.

Bonusmaterial

Oft ist es nicht, dass es mir nicht positiv auffällt, sondern dass ich mir zunächst gar nicht bewusst bin, dass das auf die Liste gehört. Deshalb muss ich diese Liste erweitern. Ich hoffe sehr, dass ich sie immer wieder erweitern kann.

  • Einbauküchen die zur Wohnung gehören: Ich meine, wer kommt auf die Idee „Lass mal diese maßgefertigte Küche für diese Wohnung in eine neue Wohnung umziehen, wo sie nicht reinpasst!“?
  • Peanut Butter filled Pretzels: Erdnussbutter in einem Kissen aus Laugenstangenteig. Health nerf, addiction buff.
  • Drain Weasle: Ein langer, flexibler Plastikstab mit Widerhaken am Ende, mit dem man Haare aus dem verstopften Ausguss gefischt bekommt. Gibt’s für ca. $1 im HEB und ist tausendmal effektiver als Rohrreiniger.
  • River Floating: Sich mit Freunden und Kaltgetränken in einem aufblasbaren Ring einen Fluss heruntertreiben lassen.
  • Dr. Pepper Zero: Sehr süß, in kleinen Dosen, am besten gekühlt und mit präsentem Vanillegeschmack.

© 2025 maschindler.de

Theme von Anders NorénHoch ↑